Verbergen
“Ich werde schon nicht in ihren privaten Nachrichten herumgucken, daran habe ich gar kein Interesse, oder haben Sie etwas zu verbergen?”
Mit diesem Satz, so die Schilderung von Andreas Baum, Vorsitzender der Piratenfraktion Berlin, verschaffte sich in der Nacht von Donnerstag auf Freitag ein Zivilpolizist Zugriff auf das Smartphone des Abgeordneten. Anlass war eine Überprüfung, ob das Gerät gestohlen sei. Das Angebot von Herrn Baum – von der Polizei auf dem Heimweg angehalten – gemeinsam die IMEI Nummer des Handys abzurufen, lehnte der Polizist ab. Er verschwand für eine halbe Stunde mit dem Smartphone in seinem Dienstfahrzeug.
“(…) oder haben sie etwas zu verbergen?”
In der jüngsten Zeit haben solche Worte wieder an Prominenz gewonnen. Die dahinter stehende Argumentation “Wer nichts zu befürchten hat, der hat auch nichts zu verbergen” (vice versa) wird immer dann von oben herab gepredigt, wenn es um die Aufgabe von Privatheit gegenüber dem Staat und seinen Organen geht.
Es nervt mich, immer wieder den selben Dreck zu hören und ich denke, dass es Zeit wird mit diesen Worten Schluss zu machen und sie in die Mottenkiste sicherheitspolitischer Argumentationen zu schicken. Aber sie halten sich hartnäckig und werden auch bei überwältigendem Einspruch einfach stumpf wiederholt, wenn sie das nächste Mal gebraucht werden. Die Worte können verhandelt werde, sie können in ihren Konsequenzen diskutiert oder in der Logik angegriffen werden – es schlägt nichts an. Vielleicht hilft es ja, die Worte mit direkter Ehrlichkeit zu infiltrieren? Ein Bekenntnis:
JA! Ich habe etwas zu verbergen!
Liebe Leserin, lieber Leser:
Ich möchte nicht Fotos mit dir teilen, auf denen ich zu sehen bin, wie ich im Urlaub nackt in der Badewanne liege und billigen Sekt mit Badeschaum vermischt durch die Gegend pruste (ich bin mir nicht einmal sicher ob ich diese Information teilen möchte, aber hey, wichtig ist, dass ICH entscheide!). Ich möchte nicht, dass du siehst, wie viele Stunden ich in den letzten zwei Wochen in Skyrim verdaddelt habe oder wie viel Geld ich mir auf Ebay ein Rennrad habe kosten lassen. Ich möchte nicht mit dir teilen, welche Erkrankung ich in der letzten Zeit ergoogelt habe. Mein Handywecker und ich teilen uns das Geheimnis, wie lange ich in den Tag hinein döse. Ich habe eine Datei auf dem Computer, in die ich gelegentlich hineinschreibe, was mir der Tag so gebracht hat – vieles davon geht nur mich etwas an. Blöde Ideen oder Einfälle für Melodien und Songs summe ich konspirativ in mein Handy hinein und bete, dass mich niemand dabei hört (Hmmmmmm-hmmm- hm Hmmmmmmm-hm —Hmmmmm-hmmmm hm). Schonmal hinter dem Rücken schlecht über jemanden geredet, vielleicht sogar geschrieben? Ich kann mich da leider nicht ausnehmen und bin froh, liebe Leserin, lieber Leser, dich mit den Details nicht belasten zu müssen.
Wie viele Dinge hast du heute getan oder gedacht, die du problemlos mit deinen Eltern, deinen Kindern, allen Arbeitskollegen und Freunden und natürlich mit mir teilen würdest? Dürfen wir alle zuschauen, wenn du dein Geld verdienst? Wenn du mit deinem Partner streitest und einen Freund / eine Freundin um Rat fragst? Wenn du nach der Arbeit ein paar Bier trinkst und dich angeregt unterhältst oder wenn du versuchst einzuschlafen? Hast du was dagegen, wenn ich dir über die Schulter schaue, wenn du deine Mails schreibst oder im Netz unterwegs bist?
JA! Wir haben etwas zu verbergen!
Manches davon ist digital gespeichert. Manches wie-auch-immer in unserem Gehirn abgelegt. Was wir teilen wollen und mit wem definiert unsere persönliche Privatsphäre. Manche Menschen geben absichtlich viel über sich Preis, andere stören sich nicht dran, unabsichtlich viel über sich Preis zu geben, aber eine Person, die die Grenzen des Privaten so weit hinter sich gelassen hat, dass es ihr egal ist, ob ich jeden ihrer Schritte und Gedanken kenne, ist mir noch nicht begegnet.
JA! Ich habe etwas zu verbergen!
Und dies macht mich weder verdächtig noch kriminell. Geheimnis und Verbrechen nah beieinander zu sehen, macht aus jedem von uns Gewohnheitskriminelle. Gründe dafür, nicht jede eigene Regung öffentlich mitteilen zu wollen, gibt es viele. Es kann darum gehen einer Peinlichkeit aus dem Weg zu gehen, den sozialen Frieden im Freundeskreis zu bewahren oder sich vor Angriffen auf die eigene Person – die eigene Psyche – zu schützen. Kriminell ist das nicht – noch nicht einmal verdächtig. Vernünftig, das ist das Wort.
JA! Ich habe etwas zu verbergen, Du hast etwas zu verbergen, Wir haben etwas zu verbergen und – Schockschwerenot – sogar der Schutzmann, der ein geklautes Handy finden will, hat etwas zu verbergen. Jeden Tag, Tag für Tag, überall.
Wenn wir also gefragt werde, ob wir denn etwas zu verbergen hätten, dann kann die Antwort nur sein: Ja. Eine Menge.
… der Zivilfahnder hat dann die SMS doch heimlich im Wagen gelesen. Die Liste der zuletzt geöffneten Anwendungen gab Auskunft darüber. Das Handy war nicht gestohlen. Ist das nicht schön?
cc-by Jonas Schöley